Der Backofenkrieg
Eine Episode aus dem Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763)
König Friedrich der Große war bekanntlich ein kühner Draufgänger, der sehr gern „bataillierte“, das heißt Schlachten schlug, auf die seine methodischen Gegner so gar nicht vorbereitet waren. Dieser kühne Mut hat jedoch den großen Feldherrn manchmal in schwierige Lagen versetzt. Das schwerste Jahr war der Feldzug 1759. Es brachte den König der Verzweiflung nahe; durch einige Stunden hindurch mag er an Thronentsagung und an Selbstmord gedacht haben. Und dies alles nur, weil die Bäcker einer seiner Armeen am Backen verhindert waren. Man muss sich die Lage des Königs vorstellen.
Im Norden standen Schweden auf preußischen Boden; im Westen Franzosen und die Reichsarmee unseligen Gedenkens, im Süden die Österreicher und im Osten die Russen. Alle bestrebt, den „Marquis von Brandenburg“ zu erledigen. Die Schweden und die Franzosen fürchtete der König nicht; was ihn beunruhigte, war die mögliche Vereinigung der Russen mit den Österreichern. Gelang diese, dann schwand die sichere Aussicht auf einen Sieg dahin. Der Österreicher rührte sich aber vorerst nicht; er wartete auf den Abmarsch der Moskowiter.
Voll bitteren Spott schrieb der König an seinen Adjutanten: „Hier stehen wir wie die Hammel gegeneinander, keiner will beißen!“ Er musste unbedingt erkundenlassen, wohin sich die Russen wandten. Zu diesem Behufe gab er dem erprobten General Grafen Dohna den Befehl, mit rund 30.000 Mann gegen Posen aufzuklären. Der Landstreifen an der Retze war jedoch eine arme, schwach bewohnte Gegend, von russischen und preußischen Streifzügen bereits ausgeplündert. Bei der Nähe und Überlegenheit der russischen Reiterei ließ sich eine Etappenlinie nicht einrichten.
Der König verachtete solche Schwierigkeiten; er meinte kurz, der Feldzug gegen die Russen könne ja überhaupt nur vier Wochen dauern und befahl des Weiteren, dass die Proviantkolonnen Dohnas so viel an Mehl laden sollten, um mit Brot auf drei Wochen gesichert zu sein. Woher das Brot für die vierte Woche kommen sollte, darüber ließ sich der König nicht aus. Entgegen der königlichen Ansicht konnte Dohna für sechs Tage Mehl laden lassen. Seine Operationen begannen daher unter den ungünstigsten Bedingungen.
Die preußischen Feldbacköfen bestanden damals aus Bügeln aus Stabeisen, die auf einen ovalen, breiten eisernen Rand aufgeschraubt wurden. Dieses Eisengestell bildete das Gerippe des Backofens. Es wurde auf den aus Ziegelsteinen erbauten Herd aufgesetzt und die Zwischenräume zwischen den Bügeln ebenfalls mit Ziegelsteinen ausgemauert. Ein solcher Backofen ließ sich schnell herstellen, wenn das nötige Material dazu vorhanden war. In Polen herrschte aber ein großer Mangel an Ziegelsteinen, weil alle Häuser nur aus Holz und Lehm erbaut wurden. Selbst in den Städten waren gemauerte Schornsteine selten.
Diese auf diese Weise ausgerüstete Feldbäckerei hatte zur Sicherung zwei Bataillone zur Seite. Dohna brach am 23. Juni von Landsberg a. d. Warthe auf und kam am sechsten Tag bis auf 25 km an die Stadt Posen heran.
Das Brot ging zur Neige, und schon jetzt erkannte der General, daß es unmöglich sei, weiter in der Richtung auf Thorn vorzugehen. Nun wurden die Mehlkolonne und die Feldbäckerei nachgezogen; damit vergingen wieder vier Tage und die Soldaten begannen zu hungern.
In Posen lagen rund 50.000 Russen. Dohna hatte erfahren, dass sie Verpflegungsvorräte für einen ganzen Monat angesammelt hätten. Seine Feldbäckerei hatte nur drei Tage lang arbeiten können und das russische Brot häufte sich ihm in schwerer Menge vor der Nase. Ihm lag nun alles daran, wenn nicht selber in den Besitz dieses Magazins zu gelangen, so es doch den Russen zu zerstören. Aber der Handstreich gelang nicht. Die Russen hatten – da sie ja in der gleichen Lage waren – vor ihrem Brote schwere Batterien aufgebaut. Ja, um den Lebensunterhalt zu sicheren. Hatte russische Oberbefehlshaber seine ganze Macht um sein Magazin zusammen gezogen und damit war die ursprüngliche preußische Absicht, den Feind wegzuoperieren, gleichfalls gescheitert.
Und wirklich, der Russe setzte sich in Bewegung, um in Schlesien einzufallen. Dohna musste nach Westen ausweichen. Er musste marschieren! Die Feldbäckerei konnte sich nicht setzen. Ja, im Gegenteil, die Dohnasche Kavallerie ritt nicht mehr Aufklärung, sondern im Schritt neben den Mehlwagen einher, um sie vor den Kosaken zu schützen, denn der Russe wusste nur zu gut, wie es um die Brotverpflegung der Preußen stand.
Tage vergingen; immer dasselbe Spiel: kurzer Tagesmarsch, Beziehen einer festen Stellung, schwache gegenseitige Kanonade ohne Lust zum Angriff und in der Nacht Scharmützel mit der leichten russischen Kavallerie, der es gelang, den Preußen nicht nur gegen 200 Mehlwagen wegzunehmen, sondern auch alle erreichbaren Ziegel wegzuschaffen. Vom 9. Juli an konnte kein Brot mehr gebacken werden. Man fand keine Ziegelsteine für die Backöfen! Generalleutnant Graf Dohna konnte sich ausrechnen, dass am 15. Juli auch bei den spärlichsten Rationen der letzte Bissen Brot verschlungen sein werde.
Nun Adieu, Strategie!
Es musste dem Gegner den Weg zur Vereinigung mit den Österreichern frei geben, von den Russen abbiegen um Brot backen zu können. Die Armee setzte sich in zwei Treffen in Marsch, zwischen denen die Feldbäckerei und die Mehlkolonne hungernd des Weges zogen; so löste sich Dohna vom Feinde. Kugel und Seitengewehr waren nur noch zum Schutz des Mehles und der Backofenreifen da!
Wie geahnt und befürchtet, war am 15. Juli die letzte Brotkrume verzehrt. Man schlug das Lager auf. Man fahndete nach Ziegelsteinen; die Kosaken waren schneller gewesen und hatten sie schon wieder weggeschafft. Die Lagerwachen nutzten wenig; hungernde Soldaten stürzten mit Lebensgefahr, auf der Flucht erschossen oder von den Kosaken niedergespießt zu werden, in die dunkle Nacht hinaus, um nach Brot zu suchen. Mit der letzten Kraftanstrengung traf das Korps Dohna am 16. Juli in Meseritz ein.
Bis zum Ausbacken einer nötigen von „Kommiß“ gab man den Soldaten rohes Mehl. Sie mochten es mit etwas Salz im Wasser kochen. Man hatte in Meseritz und Umgebung einige Wagen mit Ziegelsteinen zusammengefahren. Zum Unglück fielen sie wieder Kosakentrupps zur Beute. So sehr in Meseritz die Bäcker schufteten, es genügte die Zeit nicht, um für mehrere Tage genügend Brot zu erzeugen. Dohna ließ der Bäckerei einen Tag der Arbeit, rückte aber selber nach Züllichau ab, wohin am Tage darauf, unter dem Schutze dreier Grenadierbataillone, das Mehl, die Eisenreifen und die Ziegelsteine geschafft wurden. Dohna nahm hier feste Stellung. Am 22. traf hier der vom König zum „Diktator“ ernannte Generalleutnant v. Wedel ein und tags darauf verließ der unglückliche Graf Dohna seine Armee, um in Berlin seinen Abschied zu erbitten.
Am 23. Juli kam es zur Schlacht bei Kap (einem Dorfe einige Kilometer westlich von Züllichau). Der Russe versuchte die preußische Stellung zu umgehen, um an die Oder zu gelangen. v. Wedel hatte jedoch den strengen Befehl des Königs in der Tasche, den Oderübergang zu verhindern. So musste er sich gegen Westen wenden.Aber die Bäckerei in Züllichau. Zum Schutze ihres Abbaues ließ er daher unter einem Generalmajor 6 Bataillone und 7 Schwadronen Husaren zurück und beauftragte weitere 3 Bataillone zum Sonderschutz der Backöfen.
Wedel stieß auf die russische Stellung. Um 3 Uhr 30 begannen die preußischen Angriffe. Sie brachten keine Entscheidung. Drei Stunden später erreichte auch die Nachhut mit der Feldbäckerei das Schlachtfeld. Ihr Führer, der Generalmajor v. Wobersnow, wird beim Sturm tödlich verwundet, seine Bataillone wanken, gegen 7 Uhr verstummt auf beiden Seiten das Feuer. Die Russen blieben in ihren Stellungen. Die Preußen überquerten auf ihrem Rückmarsche selber die Oder, um vom Südufer her dem Gegner den Übergang zu verwehren. Der Tag von Kap kostete den Preußen 6776, den Russen 4833 Offiziere und Mannschaften an Verlust. Kap war die Folge der Backofenfrage.
Jetzt musste der König seine Stellung im südlichen Schlesien aufgeben; er konnte die Russen nicht nach Berlin marschieren lassen. Aber nun konnten sich die Österreicher mit ihnen vereinigen. Der König griff sie bei Kunersdorf an. Dieser Tag – der 12. August 1759 – kostete dem kleinen Preußenheer an Verlusten 18 627 Köpfe.
Am Abend des Ringens gegen eine Übermacht gab es keine königliche Armee mehr, aber einen Friedrich den Großen, der eine Nervenkrise überwand und schließlich, vier Jahre später, Sieger blieb. Das Versagen der Feldbäckerei beim Korps Dohna, seine Schuld der wackeren Bäcker, die durch Kosakenlanzen an ihrer Arbeit behindert worden waren! – hatte Preußen bis hart an den Abgrund der Vernichtung gebracht.
Originaltext von Hans Meixner, München, erschienen in: 19. Diamalt-Buch, aus dem Jahre 1939