Die Griechen und das Leiden des Samenkorns
Wenn wir uns die Geschichte des Brotes bei den alten Griechen (Hellenen) als Maßstab für die gesellschaftliche Entwicklung nehmen, dann wird uns erst richtig bewusst, wie die Menschen die Natur und ihre Phänomene in ihre Entscheidungen eingebunden und gedeutet haben. Als die Menschheit dazu übergegangen ist, die Naturphänomene nicht nur zu deuten, zu verehren, durch kultische Handlungen zu beeinflussen bzw. zu bannen, sondern sie zu personifizieren und ihnen ganz spezielle übermenschliche Kräfte und Eigenschaften zuzuschreiben, war ein besonderer Paradigmenwechsel im Zivilisationsprozess vollzogen. Dieser Wechsel vollzog sich über einen sehr langen Zeitraum und war regional sehr unterschiedlich. Von daher stammt von den Archäologen wahrscheinlich auch der Begriff „Hochkulturn“, weil es eben schon in grauer Vorzeit Volksgruppen gegeben hat, welche besondere Organisationsformen und über besondere Erkenntnisse über die Phänomene der Natur hatte.
Im Buch von Jakobs, 6000 Jahre Brot, werden diese Übergänge in Griechenland besonders deutlich und stellen ein einmaliges Merkmal dar, indem nicht das Brot, sondern das Samenkorn in den Mittelpunkt gestellt wird, und die Mysterienkult von Eleusis stellt dabei den absoluten Höhepunkt dar. Mit der Geschichte von der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter beginnt daher auch die Geschichte des Brotes im heutigen Griechenland.
Getreideanbau in Hellas
Nach den Ausführungen im Buch von Jakobs und unter Berücksichtigung verschiedener Aufzeichnungen von Geschichtsschreibern bei den Griechen und Römern, lassen sich folgende Erkenntnisse gewinnen: Es gab bessere und schlechtere Bodenverhältnisse, aber im Großen und Ganzen war die Bodenbeschaffenheit im heutigen Griechenland für Getreide bescheiden. Lediglich der Anbau von Gerste, die wiederum eine sehr genügsame Getreideart ist, hat sich gelohnt. Den Griechen waren darüber hinaus die Vorteile einer Fruchtwechselwirtschaft nicht bekannt, daher mussten sie schon sehr früh Ausschau halten, von wo sie Getreide importieren konnten bzw. wo sie Gebiete erobern konnten, die sich für den Getreideanbau besser eignen. Aber auch in der Agrartechnik und Behandlung der Böden haben die Griechen laut Jakobs nicht viel zusammengebracht. Das wichtigste Anbaugebiet für die Griechen war Sizilien. Weitere Länder, wo sie Getreide kaufen konnten waren Ägypten, den Ostgestaden und wahrscheinlich vom Nordufer des Schwarzen Meeres.
Für Jakobs war bereits klar, dass sich im Osten der Krim Griechenstädte befunden haben müssen. Sollten diese einmal freigelegt werden, dann können wir beweisen, dass die Geschichte vom Argonautenzug, laut Jakobs: „nur eine romanhaft ausgeschmückte Kornexpedition der Griechen ist. Jason und seine Helden waren bewaffnete Getreidehändler, die nach dem hungernden Mutterland das Goldene Vlies heimholen sollten“. Das Goldene Vlies ist nämlich mit einem Weizensymbol versehen. Diese wunderbare Deutung von Jakobs endet damit, dass Jason ja nur einen Schuh hatte, damit er immer Körperberührung mit der Erde hatte (ein altes Märchensymbol), und wahrscheinlich niemand anderer war, als Jasion, der Geliebte der Erdmutter. Interessanterweise hielten die Griechen sehr lange an den Wert- und Ehrbegriffen der nomadisierenden Volksgruppen fest. Dies lässt sich ganz deutlich bei Homer belegen, indem die gesellschaftliche Stellung sich an der Größe der Viehhaltung orientiert hat. So war Odysseus ein großer Schweinezüchter und Nestor ein bedeutender Pferdezüchter. Politische und soziale Umwälzungen waren ab dem 8. Jahrhundert dafür verantwortlich, dass der Ackerbau mehr und mehr an Bedeutung gewann. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung unter Solon (639 – 559 v.Chr.), wo eine revolutionäre Bodenreform durchgezogen wurde. Aus der Stadtstaat Athen wurde ein Bauernstaat. Dies hatte für ganz Griechenland Folgen. Mit dieser ganz neuen Situation, ging auch eine neue bedeutende Verehrung, nämlich die Verehrung der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, einher.
Eine Göttin, die keine Kriegsgöttin war und trotzdem laut griechischen Geschichtsschreibern bei den Schlachten bei Marathon (490 v.Chr.) und Salamis (480 v.Chr.) für den erfolgreichen Verlauf der Griechen gegen die Perser hauptverantwortlich war. Wer war nun diese allmächtige Göttin, welche die Hellenen anscheinend aus schwierigsten Situationen rettete? Sie war eigentliche eine Fremde, die aus dem Osten kam und mit anderen bedeutenden Fruchtbarkeitsgöttinnen (Isis, Kybele) verwandt war. Bald war sie Herrin nicht nur über die Erdfrüchte, sondern auch über alle Gerätschaften und Tätigkeiten, die den Ackerbau betrafen. Es dürfte die schier unvorstellbare Vermehrung der Erdfrüchte, und hier vor allem vom Getreide, gewesen sein, welche die Menschen tief beeindruckte. Und so wurden aus den Griechen, von ursprünglich herumschweifenden Jägern und viehzüchtenden Nomaden, sesshafte Ackerbauern.
Eleusis und die Brotkirche der Griechen
Ein Hymnus aus dem 7. Jahrhundert erzählt die ganze Geschichte von Demeter bis zur Kultstätte von Eleusis. Persephone, die schöne Tochter von Demeter und Zeus, wird von Hades entführt gegen ihren Willen mit ihm verheiratet und in der Unterwelt gefangen gehalten. Demeter hörte noch das verzweifelte Schreien ihrer Tochter. In Verkleidung als Greisin und in tiefer Trauer und ohnmächtigen Zorn auf den Olymp zieht sie durch die Lande. Die Töchter eines Königsgeschlechtes finden in der Nähe von Eleusis die alte Frau. Als Magd nimmt sie sich im Königshaus der Pflege des jüngsten Sohnes, der Triptolomeus genannt wird, an. Trotzdem kann sie etwas Außergewöhnliches und Unheimliches vor den Angehörigen nicht verbergen. Letzt endlich gibt sie sich zu bekennen, als sie das nackte Kind in das flammende Herdfeuer hält, um ihn unsterblich zu machen, und die Mutter des Kindes entsetzt, aus Angst um ihr Kind, schreit. Daraufhin wird ihr ein Tempel, der Tempel von Eleusis, gebaut.
Nachdem sie in den Tempel einzieht belegt sie die Mutter Erde mit Dürre. Nur die Königsfamilie bleibt davon verschont. Die ganze Erde ist in Gefahr unterzugehen. Da erst lenkt Zeus ein und es kommt ein Kompromiss heraus, mit der sich auch Demeter zufrieden gibt. Persephone muss ein Drittel des Jahres in die Unterwelt zurück. Die restliche Zeit darf sie zu ihrer Mutter zurück. Daraufhin hebt Demeter ihren Bann auf, und auf der Erde beginnt es wieder zu gedeihen und zu sprießen. Und die Beschreibung dieses Phänomens nahmen die Griechen zum Anlass einen über tausend Jahre dauernden Kult zu organisieren, der mit der Wanderung nach Eleusis seinen Höhepunkt erreichte. Aus Eleusis wurde ein Priesterstaat, der völlig unabhängig agieren konnte. Immer um den 20. September begann ein Fest, welches neun Tage dauerte, und die mit der Wanderung von Athen nach Eleusis begann. Der Höhepunkt war die Verabschiedung des Samenkorns, das wiederum für vier Monate in die Unterwelt zurück musste. Begleitet wurde dieser Höhepunkt von vielen rituellen Handlungen.