Die Menschen in dieser Region erkannten diese günstigen Voraussetzungen. Trotzdem zogen sich die Beobachtungen über viele, viele Generationen, bis die Nutzbarmachung dieser Vorteile eine gewisse Kontinuität aufweisen konnte. Dammbauten, Kanalsysteme und ziehbrunnenartige Bauten zeugen von diesen Errungenschaften. Allerdings, wie bei allen Flüssen und Strömen bekamen die Menschen auch am Nil, die unbändige und nicht beherrschbare Kraft des Wassers zu spüren, der man immer wieder machtlos gegenüberstand. Landstriche, Behausungen, Tiere und Menschen wurden verschlungen. Diese wiederkehrende Ohnmacht bewegte wahrscheinlich unsere Urahnen, durch Opfergaben von Tieren und leider auch Menschen, das Naturelement Wasser für sich günstig zu stimmen.
Bei der Bearbeitung des fruchtbaren Bodens kamen den Ägyptern ein weiterer – klimatischer – Vorteil zu Gute, nämlich, dass nach der ersten Überflutung, die Sonne die Tonerde, wie von einem Pflug aufriss, und die sich zurückschwemmende Überflutung nochmals für eine Anreicherung des Erdreichs sorgte. Dann konnte die Bearbeitung des Bodens beginnen. Zwei Männer mit Pflug und Zugtier machten sich an die Arbeit. Bevor die Aussaat begann, mussten allerdings noch große Schollen mit einer Hacke zerkleinert werden. Von den Kornschreibern wurden genau bestimmte Mengen von Saatgut verteilt. Aus der Zeit von König Mena (3.200 v. Chr.) wissen wir, dass das Saatgut von einem Beamtenapparat verwaltet wurde, und für das zur Verfügung stehende Saatgut ein bestimmter Anteil der Ernte als Gegenleistung wieder abgegeben werden musste. Bei Abbildungen von der Ernte des Getreides fällt auf, dass nur der oberste Teils des Getreidehalmes mit einer Sichel abgeschnitten wurde. Dies wurde von Archäologen dahingehend gedeutet, dass man dem Naturelement Erde, aus besonderer Dankbarkeit für den Ertrag, einen Teil wieder zurückgeben wollte. In einem Schatzhaus wurden die gedroschenen Getreidekörner gesammelt und verwaltet. Mit diesem Ertrag wurden alle königlichen Bediensteten entlohnt. Ein großer Teil wurde wiederum als Saatgut wirtschaftlich genutzt. Somit war das Getreide über viele Jahrhunderte auch das beständigste und wichtigste Tausch- und Zahlungsmittel der Ägypter.
Vom Getreidebrei zum Fladenbrot
Von vielen, vielen Ausgrabungen und Überlieferungen, und von griechischen und römischen Geschichtsschreibern wissen wir von verschiedensten Völkern darüber Bescheid, welche Getreidearten wo und wie angebaut wurden. Über die verwendeten Geräte und in neuester Zeit auch durch Untersuchungen an den Skeletten selbst, können wir feststellen, in welcher Form das Getreide für den Verzehr zubereitet wurde. Dabei haben es viele Kulturvölker bis zum Getreidefladen geschafft. Der Getreidebrei wurde einfach auf heiße Steinplatten, oder in die glühende Asche gelegt, und geröstet. Erhitzte Steine in eine mit Lehm ausgelegte Grube, die mit Getreidebrei gefüllt wurde, zu legen, war eine weitere, bewiesene Methode, den Getreidebrei schmackhafter und länger haltbar zu machen. Teile dieser Methoden haben sich bei verschiedenen Kulturvölkern bis in die Gegenwart erhalten. So gibt es im jüdischen Kulturkreis das ungesäuerte Brot, im christlich österlichen Kulturkreis den Fochaz (Osterfleck), der eine Nachempfindung des ursprünglichen Aschenbrotes sein soll.
Führte vielleicht doch der Zufall Regie, dass im Alten Ägypten ein Getreidebrei übersehen wurde, und durch die in der Luft vorhandenen Mikroorganismen gelockert wurde. Das ist immer noch ein großes Geheimnis. Dieses gelockerte Stück Getreidebrei dürfte durch Erhitzung auf einem heißen Stein nicht nur schmackhafter, sondern auch leichter verdaulich gewesen sein. Das war die Geburtsstunde des Brotes. Und später die Erkenntnis, dass es Vorteile bringt, wenn man den Getreidebrei nicht einfach zum Entwickeln der Natur überlässt, sondern eine viel bessere Basis hat, indem einen Teil des Teiges für das nächste Backen zurückhält, dürfte ebenfalls ein Meilenstein bei der Brotherstellung gewesen sein. Bis man allerdings erkannte, dass die gelockerte Getreidefladen in einem erhitzten und geschlossenen Hohlraum, sprich Backofen, noch bekömmlicher werden, dürfte viele Generationen in Anspruch genommen haben. Der ersten Backöfen waren aus Nilschlammziegeln, zylinderförmig mit einem oben sich enger werdenden Kegelstumpf. Der Innenraum wurde mit einer Platte geteilt, der untere Teil wurde zum Beheizen mit einem Loch versehen, im oberen Teil wurden die Teigstücke zum Backen aufgelegt. Zum Entweichen der Gase wurde der obere Stumpf offen gelassen.
Als die Juden der Bibel Ägypten kennerlernten, war die Brotherstellung und neben ihr auch die Bierherstellung bereits enorm verbessert und verfeinert, und wie wir wissen, ein wesentlicher Bestandteil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens im Alten Ägypten. Diese genauen Kenntnisse über das „Alte Ägypten“ verdanken wir vor allem den Wandmalereien, einem wichtigen Teilbereich des Totenkultes, die der Seele der Verstorbenen (Kâ) als Orientierungshilfe diente.
Brotherstellung in Ägypten
Abbildung/oben1 - 2 Männer bearbeiten mit den Füßen einen Teig. Um im glitschigen Teig nicht aus der Balance zu kommen, wurden Stangen benutzt.
Abbildung/oben2 - Wasserträger tragen Amphoren zu einem Tisch, wo ein anderer Gehilfe mit den Händen einen Teig ausdrückt.
Abbildung/oben3 - Eine Backpfanne wird von unten beheizt, auf die mit einer großen Zange ein geformtes Teigstück gelegt wird.
Abbildung/oben4 - Ein turmartiger Backofen wird beheizt.
Abbildungen/Mitte - verschiedene Arbeiten im Bereich der Formgebung; eine Vielzahl von Amphoren, die wahrscheinlich mit gegorenem Teig gefüllt waren.
Abbildungen/unten - verschiedene Methoden der Backofenarbeit, turmartiger Backofen und Backpfanne